ARTIKEL IN DER APOTHEKEN UMSCHAU - 03

Hoffnung auf eine Behandlung von Long Covid – woran Forschende arbeiten

Noch gibt es keine gezielte Therapie gegen Long Covid. Doch die Forschung kreist sie von gleich mehreren Seiten ein.

Von Dr. Stefanie Reinberger • Wissenschaftliche Prüfung: Dr. Roland Mühlbauer (Arzt), Aktualisiert am

Was ist Long Covid? 

Beschwerden, die mehr als vier Wochen nach der Infektion mit SARS-CoV-2 anhalten, gelten als Long Covid. Halten die Symptome sogar mehr als zwölf Wochen an, werden sie als Post-Covid bezeichnet. Zentrales Symptom ist Fatigue, eine anhaltende Müdigkeit, die oft mit schneller Erschöpfung einhergeht, der sogenannten Post-Exertionellen Malaise (PEM). Diese tritt schon nach leichter körperlicher Belastung auf.

Aber auch Muskelschmerzen, anhaltender Husten, Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen oder psychische Probleme können vorkommen. Weitere mögliche Symptome: Kopfschmerzen, Probleme beim Riechen und Schmecken, Herzbeschwerden, Kribbeln in Händen und/oder Füßen, Haarausfall sowie Schwindel.

Welche Therapien bei Long Covid gibt es? 

Die Therapie bei Long Covid ist immer individuell und orientiert sich an den jeweiligen Symptomen. Zu den Maßnahmen gehören etwa Atemtherapie, Schmerztherapie, psychologische Unterstützung und eine vollwertige Ernährung. Je nach den Bedürfnissen des Betroffenen können auch weitere Maßnahmen wie zum Beispiel Logopädie oder Ergotherapie sinnvoll sein.

Eine ursächliche Therapie gibt es bislang nicht. Denn wie Long Covid entsteht und ob es von Fall zu Fall verschiedene Ursachen gibt, ist noch weitestgehend unklar – Erklärungsansätze gibt es viele. Von diesen ausgehend entwickeln Forscherinnen und Forscher vielfältige Therapiekonzepte, die sie in klinischen Studien prüfen.

Forschungsansatz: Angriffe auf den Körper stoppen

Bei einigen Menschen mit Long Covid finden sich Autoantikörper im Blut – diese richten sich gegen körpereigenes Gewebe. Darunter sind auch Autoantikörper gegen sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR), wie Dr. Bettina Hohberger von der Augenklinik des Uniklinikums Erlangen zusammen mit einem interdisziplinären Team herausfand. GPCR spielen bei vielen Vorgängen im Körper eine wichtige Rolle. Die Autoantikörper heften sich an die GPC-Rezeptoren und verändern so deren Signale. Fachleute kennen diese „funktionellen Autoantikörper“ auch im Zusammenhang mit einer schweren Herzerkrankung und dem Glaukom, dem grünen Star.

Der Wirkstoff BC 007 – ursprünglich zur Anwendung am Herzen gedacht – soll sie unschädlich machen. Diesen verabreichte Hohberger 2021 in einem individuellen Heilversuch einem Glaukom-Patienten mit Long Covid. Sein Zustand verbesserte sich nach der Infusion zusehends. Hohberger vermutet, dass der Schlüssel zum Abklingen der Symptome in einer messbar verbesserten Durchblutung feiner Blutgefäße liegt.

Drei weitere Heilversuche mit BC 007 waren ebenfalls erfolgreich. „Wir haben aber auch gesehen, dass es kein Wundermittel ist und die Besserung stark vom Schweregrad der Symptome abzuhängen scheint“, sagt Hohberger. Schwer Betroffene waren etwa nicht wieder direkt voll belastbar. Seit 2023 prüft das Team der Augenklinik Erlangen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die Wirkung von BC 007 in einer ersten klinischen Studie. Ergebnisse werden im Herbst 2024 erwartet. Geeignet ist der Ansatz nur für Patientinnen und Patienten mit funktionellen GPCR-Autoantikörpern.

Forschungsansatz: Maßgeschneidertes körperliches Training

Körperliche Aktivität kann auch bei Long Covid eine wichtige Therapiemaßnahme sein, um etwa die eingeschränkte Leistungsfähigkeit wieder zu verbessern. Vorsicht ist jedoch vor allem bei Betroffenen geboten, die unter einer Post-Exertionellen Malaise (PEM) leiden. Bei ihnen können schon geringe körperliche Belastungen die Symptome verstärken und den Gesamtzustand verschlechtern. Eine Überbeanspruchung muss deshalb unbedingt vermieden werden.

Einige Forschungsansätze zielen darauf ab, Menschen mit PEM durch eine angepasste Bewegungstherapie zu helfen. Das S.P.O.R.T Institut in Overath und die Deutsche Sporthochschule Köln beispielsweise haben das sogenante TRIBAL-Programm entwickelt, das ein kontrolliertes und wohl dosiertes Training zwei- bis dreimal pro Woche an einem Ganzkörper-Ergometer beinhaltet: Die Beine bewegen sich wie auf einem Fahrrad, die Arme wie beim Crosstrainer. „Entscheidend ist, dass die Betroffenen an ihrer individuellen Belastungsgrenze trainieren, sich aber nie überfordern“, sagt Studienleiter Dr. Björn Haiduk.

Um dies sicherzustellen, werden die Betroffenen zu Beginn eingehend getestet und im weiteren Verlauf engmaschig medizinisch-therapeutisch begleitet. So erhalten sie ein individuelles Programm. Eine eigens entwickelte App soll ihnen dabei helfen, erfolgreich zu trainieren. Die App wird nur im Rahmen des Programms herausgegeben.

Die Etappenziele: zurück in den Alltag, zurück in den Beruf, zurück zum Sport. Dabei sei Geduld gefragt, sagt Haiduk. Nach eigenen Angaben zeigten vorläufige Auswertungen nach zwölf bis 18 Wochen erste signifikante Verbesserungen der Leistungsfähigkeit und der Fatigue. Um die Ziele zu erreichen, brauche es mehrere Monate. Die Daten sind allerdings noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.

Die Biologin Dr. Marijke Grau von der Deutschen Sporthochschule Köln nimmt im Rahmen der Studie Erythrozyten unter die Lupe. Die roten Blutkörperchen übernehmen den Sauerstofftransport im Blut. Sie sind bei einem Teil der Long-Covid-Patienten verändert – die Sauerstoffversorgung ist bei ihnen potenziell verschlechtert. Graus Laborwerte deuten laut Aussage der Expertin darauf hin, dass sich das Training auch positiv auf die Blutkörperchen auswirkt.

Das Team lotet derzeit aus, wie das TRIBAL-Programm breit eingesetzt werden könnte. Zum Beispiel in physiotherapeutischen Praxen, in denen Patientinnen und Patienten unter fachkundiger Anleitung trainieren. Wichtig: Auf keinen Fall sollten Menschen mit PEM auf eigene Faust trainieren. Bitte unbedingt mit einem Arzt.

Forschungsansatz: Das Gehirn austricksen

Denkbar ist, dass die Symptome von Long Covid zumindest zum Teil auf eine Fehlprogrammierung im Gehirn zurückgehen. „Wir kennen das vom Schmerz“, sagt Prof. Dr. Jonas Tesarz von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg. Schmerz kann sich ins Gedächtnis eingraben, sodass Betroffene ihn spüren, obwohl es keinen körperlichen Grund gibt. Ähnliches, glaubt Tesarz, könne auch nach Covid-19 passieren: Das Gehirn hat den Körper als extrem erschöpft abgespeichert und reagiert bei Belastung entsprechend.

„Diese Fehlprogrammierung versuchen wir zu durchbrechen.“ Bei Schmerz sei gut belegt, dass das funktionieren könne. In einer laufenden Studie trickst Tesarz die Gehirne Betroffener mit virtueller Realität aus: Während sie auf einem Trainingsgerät kleinste Bewegungen ausführen, sehen sie sich etwa durch den Raum fliegen – riesige Bewegungen also, ohne körperliche Anstrengung. Die Hoffnung: Das Gehirn überwindet so das alte Erschöpfungsmuster. Ob das aufgeht, zeigt sich, wenn die Studienergebnisse 2025 vorliegen.

Forschungsansatz: Entzündungen drosseln

Chronische Entzündungsreaktionen gelten als weitere mögliche Ursache von Long Covid. Dagegen setzen Forscherinnen und Forscher in den Studienzentren in Tübingen, Würzburg und Kiel zwei Wirkstoffe ein: Kortison, das die Immunantwort und Entzündungen drosselt, sowie einen Komplex aus den Vitaminen B1, B6 und B12, die das Nervensystem unterstützen und oxidativen Stress – der Entzündungsreaktionen begünstigt – lindern. Damit wirken die B-Vitamine ebenfalls antientzündlich auf das Immunsystem. Die Studie prüft die Wirkung bei mehr als 300 Probandinnen und Probanden mit Long Covid.

Diese bekommen entweder Kortison, den Vitaminkomplex, eine Kombination aus beidem oder ein Scheinmedikament verabreicht. „Wir hoffen, mit diesen gut untersuchten Wirkstoffen Symptome zu lindern“, sagt Dr. Christian Förster, Studienleiter am Standort Tübingen. „Wenn sich das bewahrheitet, haben wir einen Behandlungsansatz, der sich gut in der hausärztlichen Versorgung umsetzen lässt.“ Ergebnisse werden im Jahr 2025 erwartet. Die Studie nimmt aktuell keine neuen Probandinnen und Probanden mehr auf.